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Was EPC-Projekte mit kognitiver Verzerrung zu tun haben - Teil 1

19.04.2024 / Lesezeit: 4 Minuten

EPC-Projekte sind im Industrieanlagen- und Maschinenbau immer häufiger anzutreffen, weil Kunden danach verlangen. Allerdings schaffen diese typische Form der Projektabwicklung und die dazugehörige Vertragsgestaltung eine enorme Projektkomplexität.

Es kommt wiederholt zu Herausforderungen, die man durch eine bestimmte Vorgehensweise vermeiden oder zumindest abschwächen hätte können. Wir möchten unsere Erfahrungen und Learnings im Umgang mit EPC-Projekten in diesem und im nächsten Blogbeitrag mit Ihnen teilen. Doch da nicht jede:r tagtäglich damit zu tun hat, gilt es zunächst zu klären, worum es sich bei EPC überhaupt handelt.

 

Was bedeutet EPC?

Die Kernkompetenz von Produktionsunternehmen (= Kunden der Anlagen- und Maschinenbauer) liegt bei der Herstellung von Waren, weniger aber beim Projektmanagement. Deshalb macht es Sinn, die Verantwortung für bestimmte Prozesse (z.B. die Montage und Inbetriebnahme) in die Hände von Spezialisten – den Lieferanten – zu legen, um den Fokus für die eigene Kompetenz bewahren zu können.

Im Projektmanagement zerlegt man große Aufgaben in kleinere Teile und schafft damit Struktur. In der ersten Ebene dieser Strukturierung befinden sich die groben Projektphasen Engineering, Procurement und Construction, abgekürzt ist von EPC-Projekten die Rede.

Es kann beispielsweise vereinbart werden, dass der Lieferant die Erbringung einer oder mehrerer der folgenden Leistungen übernimmt:

  • Die gesamte Ingenieurleistung (Engineering)
  • Die Beschaffung oder Fertigung aller notwendigen Maschinen und Anlagen (Procurement)
  • Die Montage auf der Baustelle (Construction)
  • Die Inbetriebnahme und die schlüsselfertige Übergabe an den Kunden (Commissioning)

Diese Phasen werden grundsätzlich sequenziell ausgeführt. Je kürzer die Gesamtprojektlaufzeit allerdings ist, umso überlappender müssen diese Phasen angeordnet werden. Das führt zu einer zusätzlichen Erhöhung der Projektkomplexität und folglich der Risiken, wodurch zusätzliche Ansprüche an das Projektmanagement gestellt werden.

 

Rule of Ten

Im Zusammenhang mit den Projektphasen wird im Projektmanagement gern die sogenannte 10er-Regel erwähnt. Die dargestellte Funktion ist hinlänglich bekannt und wird in vielen einschlägigen Texten strapaziert.

Sie zeigt, dass die Kosten für die Fehlerkorrektur im Projektverlauf exponentiell steigen. Erfahrene Projektbeteiligte wissen, dass die wahren (zeit- und kostenintensiven) Probleme erst während der Baustellenarbeiten oder gar erst bei der Inbetriebnahme auftauchen.

Warum passiert es dennoch immer wieder, dass Projekte nicht konsequent geplant werden, im Engineering Stunden massiv gekürzt werden und im Expediting* gespart wird?

* Kurz erklärt: Das Expediting umfasst die Außenaktivitäten eines Unternehmens, um den in Bestellung befindlichen Auftragsbestand bei Zulieferern zu überprüfen. Überprüft werden Objekte unter qualitativen und terminlichen Aspekten, die eine lange Durchlaufzeit zu ihrer Fertigung benötigen.

 

Wie kommt es dazu, dass wir anscheinend langfristige Auswirkungen unseres Handelns anders bewerten als kurzfristige – wider besseres Wissen?

Die Sozialwissenschaft liefert Erklärungen dazu

Kontrollerleben und gering wahrgenommene Dringlichkeit

Ein erster Ansatz ist die subjektive Wahrnehmung, eine Situation kontrollieren zu können und die Dringlichkeit einer Handlung richtig einzuschätzen. Beide Aspekte wirken sich darauf aus, ob eine Person handelt bzw. Maßnahmen setzt oder nicht:

Eine wahrgenommene, hohe Kontrolle („wir haben das Projekt im Griff“) und eine geringe Dringlichkeit („die Montagephase ist noch weit weg“) können zu mangelndem Risikobewusstsein (geringe Angst vor der Gefahr) und somit zum Nicht-Handeln führen.

 

Verzerrte Kosten-Nutzen-Einschätzungen bezüglich zukünftiger Ereignisse

Der Nutzen der Maßnahmen ist die Folge einer konsequenten Projektplanung und guter Prozesse. Dieser Nutzen liegt jedoch Monate bzw. Jahre in der Zukunft. Die Kosten des Handelns fallen allerdings aktuell an. Ökonomen diskontieren gewöhnlich in der Zukunft liegende Ereignisse, subjektive Entscheidungen weichen jedoch oft von der rational-ökonomischen Sichtweise ab.

 

Planungsfehlschluss (planning fallacy)

Die Mehrzahl aller Projekte benötigt entweder mehr Zeit oder mehr Budget als anfänglich kalkuliert – viele sogar beides. Wie so oft bei kognitiven Verzerrungen kommen hier die Wissenschafter Daniel Kahneman und Amos Tversky ins Spiel.

In einer Veröffentlichung von 1979 gehen sie auf den sogenannten Planungsfehlschluss ein. Dieser beschreibt eine Inkonsistenz in der Bewertung und Planung von Vorhaben sowie Projekten.

Diese Inkonsistenz bezieht sich darauf, dass sich Menschen beim Planen auf das optimistischste Szenario einer Aufgabe konzentrieren, anstatt mit ihrer vollen Erfahrung abzuwägen, wie viel Zeit ähnliche Aufgaben benötigen. Außenstehende Beobachter:innen zeigen üblicherweise eine pessimistischere Einschätzung (Zeit, Aufwand).

Im Jahr 2003 erweitern Lovallo und Kahneman die Definition des Planungsfehlschlusses als Tendenz, die Zeit, Kosten und/oder Risiken von künftigen Handlungen zu unterschätzen und zugleich die Vorteile dieser Handlungen zu überschätzen. Nach dieser Definition führt der Planungsfehlschluss nicht nur zur Überschreitung des geplanten Zeitrahmens, sondern auch zu Kostenexplosion und geringerem Nutzen als geplant.

Erklärungen für den Planungsfehlschluss im Rahmen von Projekten

Planende tendieren dazu, die Zeit für Krankheit, Urlaub, Meetings und anderen Mehraufwand zu unterschätzen.

Vor allem neigen sie dazu, Projekte nicht bis zu dem Detailgrad zu planen, der eine verlässliche Prognose hinsichtlich Dauer und Aufwand sowohl für einzelne Aufgaben als auch für das Gesamtprojekt ermöglicht. Mit dem unrealistischen Optimismus (engl. optimism bias) in der Planungsphase fehlt die Möglichkeit, Abweichungen rechtzeitig zu erkennen und steuernd einzugreifen. Einige der genannten Aspekte erinnern Projektleiter:innen und Projektbeteiligte bestimmt an konkrete Situationen und Probleme in EPC-Projekten. Doch wie können die negativen Auswirkungen unseres menschlichen Handelns vermieden oder zumindest reduziert werden?

Das erfahren Sie im nächsten Blogbeitrag in der kommenden Woche.

Quellen:

  • Wysocki, Robert K. (2019): Effective Project Management. Verlag: John Wiley&Sons, Inc.
  • Kahnemann, Daniel (2014): Schnelles Denken, langsames Denken. Verlag: Pantheon.
  • Wikipedia